Moderne Kunst

Jüngst halt ich einen sonderbaren Traum:
Ich sah – und traute meinen Augen kaum –
Auf offnem Markt viel Leute köpflings stehn
Und statt auf Füßen auf den Händen gehn.
Sie keuchten laut, wie einer, der erstickt . . .
Verwundert rief ich: »Sind die denn verrückt?«
Den Ausruf hörte neben mir ein Mann;
Er sah mich seltsam-mitleidlächelnd an:
»Verrückt? – Sie kommen wohl aus weiten Fernen?
Das sind ja unsre Künstler, die modernen!«
»Wie? Künstler? – Aber sagen Sie mir nur:
Wozu denn diese tolle Unnatur?
Sie täten doch vernünftger, will mir scheinen,
Sie wandelten wie andre auf den Beinen?«
»Da haben Sie schon recht. Nur – mit Vergunst –
Das wäre ja dann eben keine Kunst!«
So sprach der Fremdling ernsthaft. Da erwacht ich,
Und lange noch, des Traums gedenkend, lacht ich.


Georg Bötticher 1849-1918


Kunst

Das ist Kunst: im Wort, Bild, Stein, in Tönen
so Natur und Geist in sich versöhnen,
daß du hörst das Gras am Wege flüstern;
Stürme prophezeihn in alten Rüstern;

daß du spürst den Wuchs der hohen Buchen
und den Hauch der Seelen, die Gott suchen;
daß du in dem Marmor fühlst das warme Leben
und beim Worte "Wein" den Duft der Reben;

daß du hinterm Bild der roten Rosen
hörst das Mädchenkichern und ihr Kosen;
daß dein Herz mitweint beim Ton der Geigen;
daß du mitverstummst im Wälderschweigen;

daß dich Liebe heißt zur Schönheit treten
und der Name Gott ganz leise beten.

Karl Ernst Knodt  1856-1917


Jeder hat sein eigen Glück unter den Händen,
wie der Künstler eine rohe Materie, die er
zu einer Gestalt umbilden will.
Aber es ist mit dieser Kunst wie mit allen:
nur die Fähigkeit dazu wird uns angeboren,
sie will gelernt und sorgfältig ausgeübt sein.

Johann Wolfgang von Goethe 1749 1832


 

Der Maler

Ein kluger Maler in Athen,
Der minder, weil man ihn bezahlte,
Als weil er Ehre suchte, malte,
Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn
Und bat sich seine Meinung aus.
Der Kenner sagt’ ihm frei heraus,
Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte,
Und daß es, um recht schön zu sein,
Weit minder Kunst verraten sollte.
Der Maler wandte vieles ein;
Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen
Und konnt’ ihn doch nicht überwinden.
Gleich trat ein junger Geck herein
Und nahm das Bild in Augenschein.
Oh! rief er bei dem ersten Blicke,
Ihr Götter! Welch ein Meisterstücke!
Ach, welcher Fuß! O wie geschickt
Sind nicht die Nägel ausgedruckt!

Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
Wie viele Kunst, wie viele Pracht
Ist in dem Helm und in dem Schilde
Und in der Rüstung angebracht!
Der Maler ward beschämt gerühret
Und sah den Kenner kläglich an.
Nun, sprach er, bin ich überführet,
Ihr habt mir nicht zuviel getan.
Der junge Geck war kaum hinaus,
So strich er seinen Kriegsgott aus.

Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt,
So ist es schon ein böses Zeichen;
Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält,
So ist es Zeit, sie auszustreichen.

Christian Fürchtegott Gellert 1715-1769




           





 

 


 



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