Denk an deine eigenen Fehler im ersten Teil der Nacht,
wenn du wach daliegst;
denk an die Fehler eines anderen im zweiten Teil der Nacht,
wenn du schläfst.
Aus China
Nacht
Wie ist der Himmel farblos, trübe,
Der doch bei Tage hell gelacht,
Die Wolken ziehen tränenmüde
Gleich stummen Betern durch die Nacht.
Ihr Köpfchen lässt die Blume hangen,
Kein Blatt bewegt sich mehr am Baum,
Die Wellen nur zu meinen Füßen,
Sie küssen leise sich im Traum.
Versunken steht der Wald im Schweigen,
Der Vöglein Lied ist längst verstummt,
Nur matt aus geisterhafter Ferne
Herüber eine Glocke summt.
Anbetend fall‘ ich in die Kniee
Und weine still ins feuchte Moos;
Wie lieb‘ ich euch, ihr frommen Nächte,
So ruhig weich und sternenlos.
Johanna Ambrosius 1854-1939
Spruch für eine Sonnenuhr
Auf dem Hochzeitsturm in Darmstadt
Der Tag geht über mein Gesicht.
Die Nacht sie tastet leis vorbei.
Und Tag und Nacht ein gleich Gewicht
und Nacht und Tag ein Einerlei.
Es schreibt die dunkle Schrift der Tag
und dunkler noch schreibt sie die Nacht.
Und keiner lebt, der deuten mag
was beider Schatten ihm gebracht.
Und ewig kreist die Schattenschrift.
Leblang stehst du im dunklen Spiel.
Bis einmal dich die Deutung trifft:
Die Zeit ist um. Du bist am Ziel.
Rudolf Georg Binding, (1867 - 1938)
Heute Nacht rief ich mir mein dreifaches Rezept
gegen Kummer und Kränkung ins Gedächtnis:
1. Daran denken, wie unwichtig alles nach zehn,
zwanzig Jahren sein wird,
wie es ja auch unwichtig geworden ist,
was einen vor zehn,
zwanzig Jahren gequält hat.
2. Sich erinnern. was man selbst getan hat
und was nicht besser war als
das, was einen heute betrübt.
3. An hundertmal Schlimmeres denken,
das auch hätte kommen können.
Das Beste und Unwiderleglichste aber ist,
wenn man sich sagt:
Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
(Lew) Nikolajewitsch Graf Tolstoi 1828-1910
Nacht um Nacht
Der Mond zieht hinterm Schiff einher,
Er wird des Abends Herr im Meer,
Begleitet Nacht um Nacht die Fahrt.
Ich hab' ihm forschend nachgestarrt,
Ich fragte ihn: "Wohin so spät?"
– Auch er weiß nicht, wohin es geht.
Max Dauthendey, 1867-1918
Schöne Nacht
Schöne Nacht, Gestirne wandeln
Heilig über dir,
Und des Tags bewegtes Handeln
Stillt zum Traum sich hier.
Was ich sehne, was ich fühle,
Ist nun doppelt mein,
Ach in deiner keuschen Kühle
Wird es gut und rein!
Und so bringst du diese Erde,
Bringst mein Herz zur Ruh,
Daß es still und stiller werde,
Schöne Nacht, wie du!
Carl Busse 1872-1918
Nacht
Nacht ist schon hereingesunken,
schließt sich heilig Stern an Stern,
große Lichter, kleine Funken
glitzern nah und glänzen fern;
glitzern hier im See sich spiegelnd,
glänzen droben klarer Nacht,
tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
herrscht des Mondes volle Pracht.
Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832
Die Nachtblume
Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.
Wünsche wie die Wolken sind,
Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauten Wind,
Ob's Gedanken oder Träume?
Schließ ich nun auch Herz und Mund,
Die so gern den Sternen klagen;
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.
Joseph Freiherr von Eichendorff, 1788-1857
Die Mutter sprach in ernstem Ton:
»Du zählst nun sechzehn Jahre schon;
Drum, Herzblatt, nimm dich stets in acht,
Besonders bei der Nacht.
Verlier dich von dem Lebenspfad
Nie seitwärts ins Geheg.
Geh immer artig kerzengrad
Den goldenen Mittelweg.«
Da kommt nun in der Dämmerstund
Des Pulvermüllers Heinrich und
Küßt mich – mir ward gleich angst und bang –
Wohl auf die rechte Wang:
»O Heinrich, das verbitt ich mir;
Sieht's Mutter, setzt es Schläg'.
Am allerbesten wählen wir
Den goldenen Mittelweg.«
Und plötzlich schreit er glutentflammt:
»Ich führe dich zum Standesamt! – «
»Schweig«, sag ich, »unverschämter Wicht;
Dahin bringst du mich nicht!« –
Da flüstert er und freut sich schier,
Weil ich's mir überleg:
»Nun gut, mein Schatz, dann wählen wir
Den goldenen Mittelweg.«
Und wenn ich nun zur Ruh mich leg,
Mir träumt vom goldenen Mittelweg;
Mein Spielzeug macht mir kein Pläsier,
Ich gäb es gern dafür,
Gäb meine Schuh, mein Röcklein fein,
Weiß Gott, ich gäb noch mehr;
Hätt nie geglaubt, daß ich solch ein
Gehorsam Mägdlein wär.
Frank Wedekind 1864-1918
Vertage die Sorgen
Bis auf morgen,
Eh' du's gedacht,
Kommt Hilfe über Nacht.
Theodor Fontane (1819 - 1898)
Nachtlied
Der Mond kommt still gegangen
Mit seinem goldnen Schein,
Da schläft in holdem Prangen
Die müde Erde ein.
Im Traum die Wipfel weben,
Die Quellen rauschen sacht;
Singende Engel durchschweben
Die blaue Sternennacht.
Und auf den Lüften schwanken
Aus manchem treuen Sinn
Viel tausend Liebesgedanken
Über die Schläfer hin.
Und drunten im Tale, da funkeln
Die Fenster von Liebchens Haus;
Ich aber blicke im Dunkeln
Still in die Welt hinaus.
Emanuel Geibel 1815-1884
Niemand kann den Morgen erreichen,
ohne den Weg der Nacht zu durchschreiten.
Khalil Gibran 1883-1931
Um Mitternacht
Es ruht so still umfangen
Die Welt vom Arm der Nacht,
Und alles ist gegangen
Zur Ruhe leis und sacht.
In zauberischem Glanze
Erstrahlt das Sternenheer
Und lockt zu nächt´gem Tanze
Die Feen und Elfen her.
Und mitten in dem Schimmern
Der stillen, sanften Nacht -
Nach Gott in meinem Innern
Die Sehnsucht heiß erwacht.
Und leis die Lippen beben:
„Sei du mir Stern und Licht
In meinem dunklen Leben,
So fürchte ich mich nicht!”
Karl Friedrich Mezger (1880-1911)
Kennst du das auch?
Kennst du das auch, wenn man um Mitternacht
Betrachtet ernst des Sternenhimmels Pracht,
Wenn die bewegte, wilde Tagesflut
Im Schloß der Nacht so friedlich träumend ruth?
Wie da das „große Ich” zu Staub verweht;
Weil plötzlich vor erschrockner Seele steht
Der unausdenkbar weite Schöpfungsplan,
Der unermessnen Welten Lauf und Bahn.
Was ist der Mensch, was seine Kraft, sein Geist
Gemessen an dem Heer, das droben streift,
Schon gegenüber unsrer eignen Welt?
Ein Nichts! Ein Tropfen, der ins Weltmeer fällt!
Ein tiefes Ahnen durch die Seele geht
Vom ew`gen Gott, des Name ringsum steht;
Ich fühl` mit Zittern seines Geistes Hauch -
Kennst du das auch?
Karl Friedrich Mezger (1880-1911)
Küsste ich zur Nacht
Ach, wie fröhlich und gesund
Mich die Liebe macht!
Bin der beste Mensch am Tag,
Küsste ich zur Nacht.
Arbeit tut von selber gehn,
Jeder Schritt ist Dank,
Reden, die ich reden muss,
Red' ich frei und frank.
Heller wird mir jeder Tag,
Weiß, wohin man sieht,
Weiß, wenn’s Abend werden will,
Wozu das geschieht.
Herrlich kommt die dunkle Nacht,
Die den Mund mir gibt,
Der mich bis zum hellen Tag
Unter Küssen liebt.
Max Dauthendey 1867-1918
Gruß an die Nacht
Wie hastdu mich so müde gemacht,
O Tag mit deiner leuchtenden Pracht,
Mit deiner Farben buntem Schein,
Mit deinen rauschenden Melodei’n!
Willkommen, o Nacht! und decke du
Die Erde mit deinem Schleier zu,
Lass schwinden die Farben, die Töne verwehn,
Lass alles Leben um dich vergehn,
Und lasse mich träumen, allein mit dir,
Vom leuchtenden Himmel hoch über mir.
Theodor Storm 1817-1888
Es ist mit der Weltenuhr wie mit der des Zimmers.
Am Tage sieht man sie wohl,
aber hört sie fast gar nicht.
Des Nachts aber hört man sie gehen wie ein großes Herz.
Morgenstern 1871-1914
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