Der Luftballon

Das war wohl nicht nach deinem Sinn,

o weh, mein kleiner Hans!

Da fliegt dein Luftballon dahin

im Morgensonnenglanz.

Und die alten Leute um und um,

sie stehn und sehn empor

und freun sich gar und lachen drum,

dass Hänschen ihn verlor.

Der gute Vater spricht: "Ja, ja!

Das kommt davon, mein Sohn!"

"Natürlich!", sagt die Frau Mama,

"das dacht' ich längst mir schon!"

Da geht er ab und segelt fort -

empor mit leichtem Flug -

und sucht sich einen anderen Ort:

Die Welt ist groß genug.

In blaue Luft steigt er gemach,

und unerreichbar fern

verstrahlt er überm Kirchendach

grad wie ein roter Stern.

Nach Süden segelt er geschwind,

zum fernen Afrika,

wo all die schwarzen Menschen sind,

und bald schon ist er da!

Wie dann sich wohl die Kinder freun

und alles tanzt und springt,

wenn übermorgen um halb neun

er dort heruntersinkt!

Heinrich Seidel  1842-1906



Der Vater kann alles 

Liebes Lenchen, hör nur an,

was mein Vater alles kann!

Alles, alles kann er machen!

Und er schnitzt die schönsten Sachen:

Auf dem Dach die Klappermühle,

unsre kleinen Kinderstühle,

Vogelbauer, Meisenkisten,

Körbe, drin die Hühner nisten,

einen Fresstrog für die Gänschen

und ‚nen Peitschenstiel für Hänschen.

Kleine Wagen kann er machen,

Hüte von Papier, und Drachen,

Körbchen aus Kastanien schneiden,

Flöten auch aus Rohr und Weiden.

Alles kann er, und so gut,

wie es wohl kein andrer tut.

Abends bei der Lampe Schimmer

spielt er auf der Zither immer

und er macht mit seiner Hand

Schattenspiele an der Wand –

ja, es ist beinah zum Grauen,

so natürlich anzuschauen:

einen Hahn mit Kamm und Sporen,

Häschen auch mit langen Ohren,

einen Vogel, der da fliegt,

und ein dickes Schwein, das liegt,

eine Gämse mit der Gabel,

einen Schwan mit Hals und Schnabel.

Gar nichts gibt es, denk nur an,

was er dir nicht machen kann!

Lenchen, ja ich glaube sehr,

nur der liebe Gott kann mehr!

Heinrich Seidel  1842-1906

Vom Honigkuchenmann

Keine Puppen will ich haben –

Puppen gehn mich gar nichts an.

Was erfreun mich kann und laben,

ist ein Honigkuchenmann,

so ein Mann mit Leib und Kleid

durch und durch von Süßigkeit.

Stattlicher als eine Puppe

sieht ein Honigkerl sich an,

eine ganze Puppengruppe

mich nicht so erfreuen kann.

Aber seh ich recht dich an,

dauerst du mich, lieber Mann.

Denn du bist zum Tod erkoren –

bin ich dir auch noch so gut,

ob du hast ein Bein verloren,

ob das andere weh dir tut:

Armer Honigkuchenmann,

hilf dir nichts, du musst doch dran!

Fallersleben 1798-1874



Die Sau

"Kinder," spricht die Mama,
Höret mir zu und folget ja:
Müßt nur recht manierlich sein,
Immer euch sauber halten und rein,
Nicht euch wälzen auf alln Wegen,
Nicht euch in jede Pfütze legen."
Und wie sie selbst es stets getan,
Und wie es von ihr die kinder sahn,
So lernten sie's auch mit Fleiß und Müh'
Und machten es ganz und gar wie sie.
Sie wollten nicht nichts Besser's ,nichts Schlechter's sein.
Es wurde ein jedes wie ein Schwein.

Wilhelm Hey, 1789 - 1854



Rumpumpels Geburtstag

Kräht der Hahn früh am Morgen,
krähet laut, krähet weit:
Guten Morgen, Rumpumpel,
dein Geburtstag ist heut!

Guckt das Eichhörnchen runter:
Wenig Zeit, wenig Zeit!
Guten Morgen, Rumpumpel,
dein Geburtstag ist heut!

Kommt das Häschen gesprungen,
macht Männchen vor Freud:
Guten Morgen, Rumpumpel,
dein Geburtstag ist heut!

Steht der Kuchen auf dem Tische,
macht sich dick, macht sich breit:
Guten Morgen, Rumpumpel,
dein Geburtstag ist heut!

Und Vater und Mutter,
alle Kinder alle Leut'
schreien: Hoch der Rumpumpel,
sein Geburtstag ist heut!

Paula Dehmel (1862-1918)



Eine Oma ging spazieren,
an der Hand ein kleines Kind,
und das Kind tat die Oma führen,
denn die alte, alte Dame, die war blind.

War ein Graben in der Nähe,
ein Loch in der Chaussee.
Oma hops mal, sprach die Kleine,
und die alte Dame sprang wohl in die Höh.

Das Kind war ganz entzücket,
als es Oma hopsen sah,
Oma hops mal, sprach es öfters,
auch wenn kein Graben in der Nähe war.

Kam ein Förster seines Weges,
ob des Kindes ganz empört,
hörst du auf, du kleine Range,
dein Benehmen ist ja gänzlich unerhört.

Herr Förster, halten's Klappe,
Herr Förster, sei'n Sie still,
denn die Oma, die ist meine,
die kann ich hopsen lassen, wann und wo ich will.

Volksgut

  Der Frosch

   Der Frosch sitzt in dem Rohre,
  Der kleine, breite Mann,
  Und singt sein Abendliedchen,
  So gut er singen kann – Quak! Quak!

   Er meint es klingt gar herrlich,
  Könnts Niemand so wie er,
  Er bläst sich auf gewaltig
  Meint Wunder, was er wär! – Quak! Quak!

   Mit seinem breiten Maule
  Fängt er sich Mücken ein
  Guckt mit den dicken Augen
  Froh nach der Sonne Schein! – Quak! Quak!

   Das ist ein ewig Quaken,
  Er wird es nimmer müd,
  So lange noch ein Blümchen
  Im Wiesengrund nur blüht! – Quak! Quak!

   Herr Frosch! nur zu gesungen,
  Du bist ein lustger Mann;
  Im Lenz muß Alles singen,
  So gut es singen kann! – Quak! Quak!

Dieffenbach 1792-1847



Im Mäntelchen mit viel Besatz
und seidener Kapotte,
im Spitzenkragen und Seidenlatz,
so steht hier die Charlotte.
Da kommt daher ein stolzer Pfau,
mit Federn, vielen hundert,
der sieht die kleine Menschenfrau, -
und beide steh'n verwundert.
Die Lotte beugt sich staundend vor,
der Pfau beugt sich zurücke
und spreizt den blauen Federflor; -
so kreuzen sich die Blicke.
"Was ist das für ein schönes Tier!"
so denken alle beide.
Er deucht ihr ganz von Golde schier,
sie deucht ihm ganz von Seide.
- Sie seh'n sich fast die Augen blind
am Kleid und an den Daunen -
und wenn sie nicht gegangen sind,
steh'n sie wohl noch und staunen.

Erich Mühsam (1878-1934)



Seid ihr alle da?

Seid ihr alle da?
Ja??
Dann schreit einmal Hurra.
Denn, geliebte Kinder,
Ich bin der
Kasperle und bin wieder da.
Bin vergnügt, seid ihr es auch.
Lacht ein Loch euch in den Bauch,
Aber gebt dabei recht acht,
Dass ihr nicht danebenlacht.
Wer hier stört und wer nicht gut
Aufpasst, kriegt eins auf den Hut.

Joachim Ringelnatz, 1883 - 1934

Meine Puppe kriegst du nicht!
Nein, du kleiner Bösewicht,
meine Puppe kriegst du nicht!
Noch ist's gar nicht lange her;
denkst du denn, ich weiß nicht mehr,
wie's der andern ist ergangen,
was du mit ihr angefangen?
Erst die Nase abgemacht,
dann das Köpfchen ihr zerkracht,
dann den ganzen Leib zerrüttet
und die Kleie ausgeschüttet,
daß die Beine und der Bauch
hingen wie ein leerer Schlauch,
dann die Arme ausgerissen
und sie auf den Müll geschmissen!
Nein, du kleiner Bösewicht,
meine Puppe kriegst du nicht!

Heinrich Seidel 1842-1906



Puppe

"Puppe nun sieh, wie hab' ich hier
Die größte Arbeit und Not mit dir,
Möchte was Kluges aus dir machen,
Lehr' dich die allerschönsten Sachen,
Aber du gibst dir keine Müh',
Bist am Abend so dumm, als am Morgen früh."
Die Puppe hat nicht darum geweint,
Das Kind hat's auch nicht so schlimm gemeint;
Es wußte: sie kann ja nichts dazu.
Da let' es sie hin und ließ sie in Ruh',
Ging fort und holte sich selbst ein Buch
Und lernte daraus manchen guten Spruch.

Wilhelm Hey 1789-1854



Kinderküche

Marie-Marei will Braten machen,
hat keine Pfanne;
nimmt sie sich die Schiefertafel
von klein Schwester Hanne.
Hat sie eine Pfanne.

Marie-Marei will Braten machen,
hat keine Butter;
borgt sie beim Kanarienvogel
rasch ein bisschen Futter.
Hat sie Butter.

Marie-Marei will Braten machen,
hat keine Kohlen;
vor der Tür steht roter Mohn,
geht sie den sich holen.
Hat sie Kohlen.

Marie-Marei will Braten machen,
fehlt noch das Gänschen;
nimmt sie sich die Pudelmütze
von klein Bruder Fränzchen.
Hat sie 's Gänschen.

Hei, mit diesen Wunderdingen
muss der Braten wohl gelingen;
bitte zu Tisch!

Paula Dehmel 1862-1918



 




 

 


 



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