Ein Jahr

An X..
Ich sah dich zuerst im Januar
Und grüßte zuerst dich im Februar;
Doch um die Mitte des Märzen,
Da fühlte ich Lieb im Herzen.

Und schlich vor deine Türe still
Wohl in den Nächten des April;
Erst in der Blüte des Maien,
Da täte ich um dich freien.

Und gab dir, ach, so manchen Kuß
Im holden Monat Junius;
Und beide fühlten wir heiß Verlangen,
Als drauf der Juli kam gegangen.

Der Juli kam; und im August
Schwelgten wir selig Brust an Brust;
Im September tät ich dich entführen;
Im Oktober ließen wir kopulieren

Und wälzten uns im Novembrium
Als Eheleute im Bett herum -
Jetzt ist es Dezember, die Wolken schneien,
Die Raben krächzen, die Kater schreien.

Georg Weerth 1822-1856

KALENDER 1913

Januar:
Der Reiche klappt den Pelz empor,
und mollig glüht das Ofenrohr.
Der Arme klebt, daß er nicht frier,
sein Fenster zu mit Packpapier.
Februar:
Im Fasching schaut der reiche Mann
sich gern ein armes Mädchen an.
Wie zärtlich oft die Liebe war,
wird im November offenbar.
März:
Im Jahre achtundvierzig schien
die neue Zeit hinaufzuziehn.
Ihr, meine Zeitgenossen wißt,
daß heut noch nicht mal Vormärz ist.
April:
Wer Diplomate werden will,
nehm sich ein Muster am April.
Aus heiterm Blau bricht der Orkan,
und niemand hat`s nachher getan.
Mai:
Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Der Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)
Juni:
Mit Weib und Kind in die Natur
zur Heilungs-, Stärkungs-, Badekur.
Doch wer da wandert bettelarm,
Den fleppt der würdige Gendarm.
Juli:
Wie so ein Schwimmbad doch erfrischt,
wenn`s glühend heiß vom Himmel zischt!
Dem Vaterland dient der Soldat,
kloppt Griffe noch bei dreißig Grad.
August:
Wie arg es zugeht auf der Welt,
wird auf Kongressen festgestellt.
Man trinkt, man tanzt, man redet froh,
und alles bleibt beim status quo.
September:
Vorüber ist die Ferienzeit.
Der Lehrer hält den Stock bereit.
Ein Kind sah Berg und Wasserfall,
das andre nur den Schweinestall.
Oktober:
Zum Herbstmanöver rücken an
der Landwehr- und Reservemann.
Es drückt der Helm, es schmerzt das Bein.
O welche Lust, Soldat zu sein!
November:
Der Tag wird kurz. Die Kälte droht.
Da tun die warmen Kleider not.
Ach, wärmte doch der Pfandschein so
wie der versetzte Paletot!
Dezember:
Nun teilt der gute Nikolaus
die schönen Weihnachtsgaben aus.
Das arme Kind hat sie gemacht,
dem reichen werden sie gebracht.

Erich Mühsam, 1878-1934

Gedicht zum August

Das Ährenfeld
Ein Leben war’s im Ährenfeld
Wie sonst wohl nirgend auf der Welt:
Musik und Kirmes weit und breit
Und lauter Lust und Fröhlichkeit.
Die Grillen zirpten früh am Tag
Und luden ein zum Zechgelag:
Hier ist es gut, herein! herein!
Hier schenkt man Tau und Blütenwein.
Der Käfer kam mit seiner Frau,
Trank hier ein Mäßlein kühlen Tau,
Und wo nur winkt’ ein Blümelein,
Da kehrte gleich das Bienchen ein.
Den Fliegen ward die Zeit nicht lang,
Sie summten manchen frohen Sang.
Die Mücken tanzten ihren Rhein
Wohl auf und ab im Sonnenschein.
Das war ein Leben ringsumher,
Als ob es ewig Kirmes wär.
Die Gäste zogen aus und ein
Und ließen sich’s gar wohl dort sein.
Wie aber geht es in der Welt?
Heut ist gemäht das Ährenfeld,
Zerstöret ist das schöne Haus,
Und hin ist Kirmes, Tanz und Schmaus.

August Hoffmann von Fallersleben 1798-1874

September
Der Dornbusch prangt im Schmuck der roten Beeren,
Die Dahlien in ihrer bunten Pracht,
Und Sonnenblumen mit den Strahlenspeere
Stehn stolz wie goldne Ritter auf der Wacht.

Die Wespe nascht um gelbe Butterbirnen,
Die Äpfel leuchten rot im Laub und glühn
Den Wangen gleich der muntren Bauerdirnen,
Die sich im Klee mit ihren Sicheln mühn.

Noch hauchen Rosen ihre süßen Düfte,
Und freuen Falter sich im Sonnenschein,
Und schießen Schwalben durch die lauen Lüfte,
Als könnt des Sommerspiels kein Ende sein.

Nur ab und an, kaum daß der Wind die Äste
Des Baumes rührt, löst leise sich ein Blatt,
Wie sich ein stiller Gast vom späten Feste
Heimlich nach Hause stiehlt, müde und satt.

Gustav Falke  1853 - 1916

November

Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdriesslich sein
Und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist ’ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn’ Unterlass:
Ja, das ist Novemberspass!

Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelsthau
Ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt’s an jedem Zweig,
Einer dicken Thräne gleich.

O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch’ unvernünft’ges Toben
Schon im Voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!
So, dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Greuel schauen zu!

Heinrich Seidel  1842-1906

Januar

Wohin man schaut, nur Schnee und Eis,
Der Himmel grau, die Erde weiß;
Hei, wie der Wind so lustig pfeift,
Hei, wie er in die Backen kneift!
Doch meint er’s mit den Leuten gut,
Erfrischt und stärkt, macht frohen Mut.
Ihr Stubenhocker, schämet euch.
Kommt nur heraus, tut es uns gleich.
Bei Wind und Schnee auf glatter Bahn
Da hebst erst recht der Jubel an!

Robert Reinick  1805-1852

Kalender 1912

Januar: Das Jahr beginnt um Mitternacht,
wenn Luft und Land vor Kälte kracht.
Der Mensch grüßt froh den Neujahrstag
und ahnt doch nicht, was kommen mag.

Februar: Der Sturm zerbricht den kahlen Ast.
Auf tobendem Meere birst der Mast.
Eis treibt zum Meer, Schnee stürzt zu Tal.
Die Menschen feiern Karneval.

März: Die Welt erwacht aus Wintersnot.
Wild kämpft das Leben mit dem Tod.
Im Freiheitssehnen schwillt das Herz.
Der Mensch erfleht sein Heil vom März.

April: Heut Regen, Wind und Hagelschlag
und morgen strahlender Sonnentag.
Der Menschheit Schicksal muß geschehn
Durch Kreuzigung und Auferstehn.

Mai: Zur Paarung drängt's die Kreatur
und neuer Samen schwängert die Flur.
Verkündend schwebt der heilige Geist
zum Menschen, der dies Liebe heißt.

Juni: Das Licht der langen Tage glänzt
auf grüne Lande bunt bekränzt.
Im warmen Sonnenschein gerät,
was für den Herrn der Knecht gesät.

Juli: Die Luft liegt glühend überm Land.
Dumpf gähnt der Himmel im Sonnenbrand.
Die Berge und die Wasser ruhn, -
der Mensch muß seine Arbeit tun.

August: Gewölk reißt donnernd und zündend entzwei.
Gelähmte Lüfte atmen frei.
Sternschnuppen fahren den Himmel entlang.
Der Herr der Erde nur seufzt im Zwang.

September: Der Boden saugt neuen Regen ein.
Die Saat trägt Früchte. Es reift der Wein.
Was weise Allmacht den Menschen gab,
der Reiche nimmt es dem Armen ab.

Oktober: Der Herbst folgt der Natur Gebot.
Die Blätter färben sich gelb und rot.
Die Vögel fliehen mittagwärts.
Den Menschen faßt ein Abschiedsschmerz.

November: Der Sturm entlaubt den Wald und gellt.
Das Meer braust auf, das Schiff zerschellt.
Den Armen beugt die Sorgenlast,
der Hunger kommt bei ihm zu Gast.

Dezember: Die Erde kleidet sich in Schnee.
Die ganze Welt ist kalt und weh.
Vor Gott sind alle Menschen gleich.
Sie träumen vom ewigen Friedensreich.

Erich Mühsam . 1878 - 1934

 



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