Gertrude, weiße Blume,
was bist du so stolz?
Es wächst kein grünes Blättlein
am trockenen Holz.

Gertrude, weiße Blume,
der Flieder, der blüht;
die Nachtigall im Walde,
die singet ihr Lied.

Sie singet von Liebe,
sie singet von Glück;
die Zeit, die verpaßt ist,
die kommt nicht zurück

​Hermann Löns  1866-1914

Überlass es der Zeit

Erscheint dir etwas unerhört, 
Bist du tiefsten Herzens empört, 
Bäume nicht auf, versuchs nicht mit Streit, 
Berühr es nicht, überlass es der Zeit. 
Am ersten Tage wirst du feige dich schelten, 
Am zweiten lässt du dein Schweigen schon gelten, 
Am dritten hast du's überwunden;
Alles ist wichtig nur auf Stunden, 
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter, 
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Theodor Fontane  1819-1898

Zeit

So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind.
Das unbefangne Menschenkind
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von außen nichts sich je erneut,
In Dir trägst du die wechselnde Zeit,
In Dir nur Glück und Begebenheit.

Ludwig Tick 1773-1850)

Hat alles seine Zeit 
Das Nahe wird weit 
Das Warme wird kalt 
Der Junge wird alt 
Das Kalte wird warm 
Der Reiche wird arm 
Der Narre gescheut 
Alles zu seiner Zeit

Goethe  1749-1832

Zeit

ist der größte Tröster,
sie trägt auf ihrem Rücken
noch alle Umwälzungen heim,
sie trocknet die bittersten Tränen,
indem sie uns neue Wege zeigt
und neue Stimmen an unser Ohr bringt.

Emerson  1803-1882

Die Zeit

Es gibt ein sehr probates Mittel,

die Zeit zu halten am Schlawittel:

Man nimmt die Taschenuhr zur Hand

und folgt dem Zeiger unverwandt,

 

Sie geht so langsam dann, so brav

als wie ein wohlgezogen Schaf,

setzt Fuß vor Fuß so voll Manier

als wie ein Fräulein von Saint-Cyr.

 

Jedoch verträumst du dich ein Weilchen,

so rückt das züchtigliche Veilchen

mit Beinen wie der Vogel Strauß

und heimlich wie ein Puma aus.

 

Und wieder siehst du auf sie nieder;

ha, Elende! - Doch was ist das?

Unschuldig lächelnd macht sie

wieder die zierlichsten Sekunden-Pas.

Christian Morgenstern  1871-1914



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