Kirschbäume blühn ums Haus 

Kirschenbäume blühn ums Haus, 
Und ein Mädchen schaut heraus, 
So ein sonnenblondes Kind, 
Wie im Märchen 
Es die Königstöchter sind. 

Bin ein junger Königsheld, 
Nenne mein die ganze Welt - 
Freilich nur in meinem Lied. 
Nur das Märchen 
Meines Reiches Grenze zieht. 

Gib mir deine Kinderhand, 
Denn ich brauche für mein Land 
Eine Maid mit Königssinn, 
Für mein Märchen 
Eine Märchenkönigin. 

Anton Renk (1871 -1906) 

Es spukt 

Abends, wenn die Heimchen singen, 
Wenn die Lampe düster schwelt, 
Hör ich gern von Spukedingen, 
Was die Tante mir erzählt. 

Wie es klopfte in den Wänden, 
Wie der alte Schrank geknackt, 
Wie es einst mit kalten Händen 
Mutter Urschel angepackt, 

Wie man oft ein leises Jammern 
Grad um Mitternacht gehört 
Oben in den Bodenkammern, 
Scheint mir höchst bemerkenswert. 

Doch erzählt sie gar das Märchen 
Von dem Geiste ohne Kopf, 
Dann erhebt sich jedes Härchen 
Schaudervoll in meinem Schopf. 

Und ich kann es nicht verneinen, 
Daß es böse Geister gibt; 
Denn ich habe selber einen, 
Der schon manchen Streich verübt. 

Wilhelm Busch, 1832-1908 

In einem alten chinesischen Märchen fragt die kleine Prinzessin Aju den weisen Gelehrten Ju Mi: Wohnt das Glück der Menschen, dort oben auf den leuchtenden Sternen, ehrwürdiger Vater? "Nein, mein Kind" antwortete dieser, "das Glück wohnt in unseren Herzen. Aber da verirrt sich selten jemand hin." 

Aus einem chinesischen Märchen 

Das Märchen 

Nacht ist draußen, Licht ist innen, 
Draußen Winter, Frühling hier; 
Bittrem Haß und süßem Minnen, 
Märchen huldig, lauschen wir. 

Wie Dornröschen schläft so lange, 
Von Schneewittchen licht und schön, 
Von der Nixen Wundersange, 
Wunderschlössern, Wunderhöh`n. 

Zwerge hämmern, Ritter streiten 
Gegen grimme Drachenbrut, 
Und nach Fahrten und nach Leiden 
Macht die Minne Alles gut — 

Alter Zeiten heil`ge Sage, 
Eine Blume wunderbar! 
Wunderbare Kindertage, 
Denen jedes Märchen klar! 

Tage, wie der einst in Eden, 
Wo der Seele Alles licht, 
Wo sogar die Steine reden, 
Und das Stromes Welle spricht! 

Ist ein Märchen bunt und bunter 
Nicht die Welt, die Himmelsflur? — 
Überall sind Märchenwunder, 
Doch das Kind versteht sie nur. 

Franz Alfred Muth 1839-1890

Alte Geschichten 

Der Abend dämmert, es wirbelt der Wind 
den Schnee von dem hohen Dache, 
Großmütterchen sitzt am warmen Kamin 
mit den Kleinen im warmen Gemache. 
„Erzähl uns etwas, Großmütterlein!“ – 
„Recht gern, ihr närrischen Dinger, 
ihr müsst nur brav und bescheiden sein!“ 
Und mahnend hebt sie den Finger. 

Dann fängt sie an: „Es war einmal ....“, 
und die Kinder, sie lauschen und lauschen. 
Sie hören das Bellen des Hofhunds nicht 
und des Sturmes Zischen und Rauschen, 
und nicht das Schlagen der Schwarzwalduhr 
und der Stunde rasches Verrinnen. 
Sie sitzen und horchen mit Mund und Ohr, 
versenkt in Träumen und Sinnen. 

Großmutter weiß der Geschichten viel 
aus fernen vergangenen Tagen, 
von Riesen und Zwergen, von Burgen, von Seen, 
seltsame Märchen und Sagen; 
von Nixen und Elfen, von Rübezahl, 
Musikanten und Lumpengesindel, 
und wie Dornröschen im Schlaf versank, 
gestochen von giftiger Spindel. 

Vom Weibe, das tanzt in feurigen Schuh’n, 
von sieben Raben und Schwaben, 
von Aschenbrödel und Drosselbart 
und Hans, dem glücklichen Knaben; 
von der großen Stadt, tief unter der See 
Vineta, der schlummernden Leiche, 
auch wohl zum Schluß vom Meister Till 
schalkhafte, lustige Streiche. 

Großmutter weiß der Geschichten so viel, 
als Blätter auf Büschen und Bäumen; 
die Kinder lauschen mit Ohr und Mund, 
versenkt in Sinnen und Träumen. 
Und die kleine Marie – sie lächelt und schläft; 
still wird es im trauten Gemache, 
und der Wind schläft auch, und die Sterne steh’n 
hell über dem hohen Dache. 

Friedrich Wilhelm Weber  1813-1894

Das Leben ach! – O Mutter, bleib am Leben! 
Spinn noch dies schöne alte Märchen fort 
und teil mit uns, was du uns ja gegeben. 
Es ist so traut im alten Lehnstuhl dort, 
wenn ich die Hände leg' in deine Hände, 
wenn sich dein Herz auf alte Zeiten besinnt; 
o sag: Noch ist das Märchen nicht zu Ende – 
und ich will lauschen – wie ein selig Kind. 

Karl Stieler, (1842 - 1885) 



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