Den Finger leg ich auf die Lippen
Und sage: Schweige, schweige, schweige!
Was sind dir denn die fremden Menschen,
Dass ihnen sich dein Inn'res zeige?

Was fühlen sie von deinen Schmerzen?
Was wissen sie von deiner Wonne?
Dem Himmel magst du dich vertrauen,
Dem Mond, den Sternen und der Sonne.

Und auch den Wolken und den Wellen,
Und jeder Blume, jedem Zweige!
Doch trittst du wieder unter Menschen,
Dann denk an mich und schweige, schweige!

Ida von Düringsfeld (1815 - 1876) 

Zur rechten Zeit zu schweigen

ist ein Zeichen von Weisheit und besser als alles Reden.

Noch nie hat es einen gereut, geschwiegen, wohl aber
viele geredet zu haben.

Das Verschwiegene kann man immer noch ausplaudern,

es ist aber unmöglich, das Gesagte wieder zurückzunehmen.

Plutarch 45-125

Es hat ein jeder Mensch mehr Fehler zu verstecken,
Als er Geschicklichkeit der Welt hat zu entdecken;
Drum kommt der immer besser an,
Wer schweigen, als wer reden kann.
Denn weil sich jener nur allein von außen zeigt,
So zeiget dieser sich von innen:
Man kann sehr viel bei dem der schweigt
Verlieren; und sehr viel bei dem der spricht, gewinnen.

Schweigen und Reden 

Christian Wernicke (1661-1725)

Sei weise!

Geh nicht zu denen, welche von sich reden;
sie kennen nur das eigne, liebe Ich.
Ein feines Ohr vermeidet die Trompeten;
der Weise hält am liebsten sich für sich.

Geh nicht zu denen, welche von sich schweigen;
auch sie verehren nur ihr liebes Ich.
Sie wollen sich als große Schweiger zeigen;
der Weise hält am liebsten sich für sich.

Und mußt du doch als Mensch zu Menschen gehen.
So sprich und schweig, doch beides nicht für dich.
Das Sprechen sei für die, die dich verstehen.
Das Schweigen für der andern liebes Ich.

Karl May (1842 - 1912)

Die Verschwiegenen

Ich habe wohl, es sei hier laut
vor aller Welt verkündigt,
gar vielen heimlich anvertraut,
was du an mir gesündigt.

Ich sagt’s dem ganzen Blumenheer,
dem Veilchen sagt’ ich’s stille,
der Rose laut, und lauter der
großäugigen Kamille.

Doch hat’s dabei noch keine Not,
bleib’ munter nur und heiter,
die es gewußt, sind alle tot,
und sagen’s nicht mehr weiter.

​Rosenegg  1812-1864

Du warest mir ein täglich Wanderziel
Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,
Ich hatte dir geträumten Glücks so viel
Anzuvertraun, so wahren Schmerz  zu klagen.
Und wieder such ich dich, du dunkler Hort,
Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen -
Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort!
Verstummt ist Klag und Jubel. Ich will lauschen.

Conrad Ferdinand Meyer  1825-1898

Tiefes Schweigen

Aus dem Schleier lichter Wolken
lächelt matt der Sterne Schein
auf die dunkle Welt hernieder,
auf den totenstillen Hain.

Lautlos ruht das Reh des Waldes,
lautlos steht des Waldes Baum,
und, von Geisterhand gesponnen,
deckt die Welt ein tiefer Traum.

Lautlos, wie des Waldes Schweigen,
ist der Menschenseele Schmerz
Sterne blicken aus dem Schleier
lichter Wolken niederwärts.

Clara Müller-Jahnke  18601905

 


 


 


 


 



**********************************************
Alle Grafiken sind urheberrechtlich geschützt !
All graphics are protected by copyright !