Die Uhr zeigt heute keine Zeit

Ich bin so glücklich von Deinen Küssen,
Daß alle Dinge es spüren müssen.
Mein Herz in wogender Brust mir liegt,
Wie sich ein Kahn im Schilfe wiegt.
Und fällt auch Regen heut' ohne Ende,
Es regnet Blumen in meine Hände.
Die Stund' die so durch's Zimmer geht,
Auf keiner Uhr als Ziffer steht;
Die Uhr zeigt heute keine Zeit,
Sie deutet hinaus in die Ewigkeit.

Max Dauthendey  1867 - 1918

Alte Uhr

Ist eine alte Uhr in Prag,
Verrostet das Werk und der Stundenschlag,
Verstummt ihre Stimme im Munde,
Zeigt immer die gleiche Stunde.

Doch täglich einmal, so tot sie sei,
Schleicht zögernd die Zeit an der Uhr vorbei,
Dann zeigt sie die richtige Stunde,
Wie die Uhren all' in der Runde.

Es ist kein Werk so abgethan,
Kommt doch einmal seine Zeit heran,
Daß es sein Wirken bekunde,
Kommt doch seine richtige Stunde.

Hugo Salus 1866 - 1929

Mit der Uhr in der Hand

Wir leben in 'ner eiligen, hastigen Zeit
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
der eine, der schiebt heut den andern beiseite
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir drängen alle vorwärts, ob Hinz oder Kunz,
sind stets außer uns, und wir kommen nie zu uns,
denn wir werden mit uns ja nur flüchtig bekannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Der Tag beginnt schon in eiligem Lauf
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
der Wecker, der weckt uns, wir stehen schon auf
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Schnell ziehen wir uns an, und wir schlingen unseren Schmaus,
der ist noch nicht runter, da treten wir aus
und sitzen selbst dort an der hinteren Wand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wir turnen, wir trainieren, zum Masseur gehen wir hin
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
mal sind wir zu dick, mal sind wir zu dünn
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir gehn nie, sind auf dem Laufenden stets,
wenn wir mal wen treffen, dann fragen wir: Wie gehts?
Und eh der es uns sagt, sind wir weiter gerannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wir fahren in die Ferien und sitzen am Strand,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
erwarten die Post, den geschäftlichen Stand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Ein Buch mal zu lesen, das wär ein Genuß -
wir lesen den Anfang und schauen nach dem Schluß,
durchblättern den Goethe, durchfliegen den Kant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wir machen ne Reise im Automobil
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
wir reisen nicht mehr, wir rasen zum Ziel,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Fragt man uns: Die Gegend, die war wohl sehr schön
Dann sagen wir ja und wir haben nichts gesehen,
denn wir fuhren bloß vorbei ohne Sinn und Verstand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Die Liebe, die Ehe betreiben wir als Sport
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
wir finden uns, verbinden uns und - pflanzen uns fort
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Will sie ihn mal küssen, dann stellt er sich froh -
und denkt sich: Nun mach schon, ich muß ins Büro -
Und er drückt sie ans Herz und küßt sie galant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

So eilen wir durchs Leben ohne Freud und Pläsier,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
da, plötzlich steht einer, ist mächtiger als wir,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Der sagt: Du brauchst nicht auf die Uhr mehr zu sehn,
denn meine geht weiter und deine bleibt stehen
und er winkt uns hinüber ins andere Land
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Otto Reutter (1870 - 1931) 

Sag mir, wer einst die Uhren erfund,
Die Zeitabteilung, Minute und Stund?
Das war ein frierend trauriger Mann.
Er saß in der Winternacht und sann.
Und zählte der Mäuschen heimliches Quicken
Und des Holzwurms ebenmäßiges Picken.

Sag mir, wer einst das Küssen erfund?
Das war ein glühend glücklicher Mund;
Er küßte und dachte nichts dabei.
Es war im schönen Monat Mai,
Die Blumen sind aus der Erde gesprungen,
Die Sonne lachte, die Vögel sungen.

Heinrich Heine  1797-1856 

Die Uhr

Die Uhr kann laufen wie sie will,
Ich sehe zu und lächle still.

Nur eine Stund dann und wann
Hielt ich mal gern den Zeiger an;

Und weiß genau: wenn ich's probier,
Zwei kleine Hände helfen mir.

Rudolf Presber  1868 - 1935

Im Boudoir einer schönen Frau

Im Boudoir einer schönen Frau,
Links neben dem Tapetentürchen,
Stand einst - wie weiß ich's noch genau! -
Ein reizend Alabasterührchen.

Davor aus Meißner Porzellan
Ein Geiger, Fiedel unterm Kinne,
Sah zu dem Zifferblatt hinan,
Als ob er just das Spiel beginne.

Und saßen wir so stundenlang,
Schweigend in Glück und Liebesfülle,
Wir hörten nur den Pendelgang
Des Ührchens tickend durch die Stille.

Wir hörten's gern und liebten's fast,
Wie einen Freund, der uns beglückte;
Das Zeigerpaar nur blieb verhaßt,
Das langsam um die Ziffern rückte;

Das Zeigerpaar, dess' träger Lauf
Plötzlich im Sprung die Träumer narrte;
Das Zeigerpaar, zu dem hinauf
Der stumme Meißner Geiger starrte;

Das Zeigerpaar, das wie mit Neid
Das Herz, das keinen Abschied ahnte,
"Nun wird es Zeit - nun ist es Zeit!"
Mit seinen goldnen Spitzen mahnte ...

Doch als ich spät am Abend kam
Einst heimlich durch verschwiegne Türen,
Behutsam bei den Händen nahm
Das Weib mich, vor die Uhr zu führen.

Sie deutet' mit dem Finger nur
Und hat kein Wort dazu gesprochen -
Da waren an der kleinen Uhr
Die goldnen Zeiger ausgebrochen.

Das Räderwerk ging still und leis
Im Takt des Blutes unsrer Wunden;
Das Zifferblatt starrt' leer und weiß,
Und kein Verräter zählt' die Stunden.

Da küßt' ich sie, sie küßt' zurück,
Da ist sich Mund auf Mund begegnet -
Und zeitlos war das heiße Glück,
Das einen flücht'gen Bund gesegnet.

Vorbei ist Lenz und Liebesspiel,
Zerbrochen längst der Meißner Geiger -
Und jede Stunde nennt ihr Ziel,
Und jede Uhr hat ihre Zeiger.

Doch wenn ich tief ins Traumland fuhr
Und Liebstes sehnend mir beschworen,
Dacht' ich der Alabasteruhr,
Die ihre Zeiger hat verloren ...

Rudolf Presber 1868 - 1935

Kammer-Kummer

Es äugt ein Wunsch aus mir nach der Uhr.
Der lauscht auf Briefträgerschritte
Und murmelt unaufhörlich nur
Die Worte "bitte, bitte".

Sich schämend richtet sein Gebet
Die Ohren nach der Klingel.
Ein Brief soll läuten. Darauf steht:
"An Herrn Joachim Ringel –"

Ha! Klingelt schon! Und kommt ein Brief. –

Nicht der, den ich wollte lesen.

Einschlafende Hoffnung atmet tief,
Träumt ab, was niemals gewesen.

Joachim Ringelnatz (1883 - 1934)

Die alte Uhr

Ich habe eine alte Uhr,
Die fröhlich einst geschlagen —
Jetzt kündet sie mir leise nur
Von längst vergangnen Tagen.

Sie stand im lieben Vaterhaus
Im lückenlosen Kreise,
Und schlug im Takt jahrein, jahraus
Die kindlich fromme Weise.

Einst klang die Stimme silberrein,
Sie galt der Lebensfeier,
Jetzt liegt auf ihr im Dämmerschein
Ein wehmutsvoller Schleier.

Sie trägt auf ihrem Zifferblatt
Das schwarze Mal der Wunden,
Die ihr die Zeit geschlagen hat
In düstern Todesstunden.

Sie träumt mit mir so still und stumm,
Und tickt und tackt ganz leise,
Nur stündlich fragt sie mich: „Warum
Fehlt manches Haupt im Kreise?" —

Ich glaub', es hat die alte Uhr
Den Wandel nicht verstanden,
Und nächtlich klagt sie: „Wär' ich nur
Vor Jahren stillgestanden!"

Isabelle Kaiser  1866-1925

Die Uhr

Ich trage, wo ich gehe,
Stets eine Uhr bei mir;
Wieviel es geschlagen habe,
Genau seh' ich's an ihr.

Es ist ein großer Meister,
Der künstlich ihr Werk gefügt,
Wenngleich ihr Gang nicht immer
Dem törichten Wunsche genügt.

Ich wollte, sie wär' oft rascher
Gegangen an manchem Tag:
Ich wollt' an manchem Tage,
Sie hemmte den raschen Schlag.

In meinen Leiden und Freuden,
Im Sturme und in Ruh, –
Was immer geschah im Leben,
Sie pochte den Takt dazu.

Sie schlug am Sarge des Vaters,
Sie schlug an des Freundes Bahr',
Sie schlug am Morgen der Liebe,
Sie schlug am Traualtar.

Sie schlug an der Wiege des Kindes, –
Sie schlägt, will's Gott! noch oft,
Wenn bessere Tage kommen,
Wie meine Seel es hofft.

Und ward sie manchmal träger,
Und drohte zu stocken ihr Lauf,
So zog sie der Meister mir immer
Großmütig wieder auf.

Doch stände sie einmal stille,
Dann wär's um sie geschehn,
Kein and'rer, als der sie fügte,
Bringt die zerstörte zum Gehn!

Dann müßt' ich zum Meister wandern,
Und ach, der wohnt gar weit,
Wohnt draußen, jenseits der Erde,
Wohnt dort in der Ewigkeit.

Dann gäb' ich sie dankbar zurücke,
Dann würd' ich kindlich flehn:
?Sieh', Herr, – ich hab' nichts verdorben,
Sie blieb von selber stehn."

 

Johann Gabriel Seidl 1804-1875


 


 



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