Die Zeder

Ich wachse langsam.
Meine Zeit
ist eine lange Geduldigkeit.
An allem wuchs ich, was mir ward,
Kein Reif zu jäh, kein Frost zu hart.
Ich wachs am Dunkel, daraus ich stieg,
ich wachs am Licht, darin ich mich wieg.
Ich wachs am Wurm, der an mir nagt,
ich wachs am Sturm, der durch mich jagt.
Veredelnd zwing ich jede Kraft,
hinauf zu dehnen meinen Schaft.
Ich dulde Blitz und Glut und Guß,
ich weiß nur, daß ich wachsen muß.
Und schau ich hoch auf diese Welt,
und kommt die Stunde, die mich fällt:
schmück Tempel ich und Paradies
des Gottes, der mich wachsen ließ.

Aus dem Orient

Schauder

Jetzt bist du da, dann bist du dort.
Jetzt bist du nah, dann bist du fort.
Kannst du's fassen? Und über eine Zeit
gehen wir beide die Ewigkeit
dahin - dorthin. Und was blieb?...
Komm, schließ die Augen, und hab mich lieb!

Christian Morgenstern 1871-1914

Die beiden Vulkane

Im weißen Haar und Bart
Hab' ich die Glut bewahrt:
Wie Gott der Herr erschuf
In Welschland den Vesuv:
Im Herzen Brand, am Haupte Schnee,
Zuweilen thut's den beiden weh:
Der eine bricht in Lava aus,
Beim andern werden Verse draus.

Felix Dahn 1834-1912

O bleibe jung! Die Jahre fliehen,
Und Winter bald umzieht dein Haupt;
Dir welkt so viel, was einst gediehen,
Sorg', daß nicht alles dir geraubt!

O bleibe jung! In deinem Herzen
Bau' dir der Jugend Frohnatur,
Was dann auch kommt, du wirst's verschmerzen,
Im Herzen Blüten, Schnee im Haar!

Peter Sirius, (1858 - 1913)

Hahnenkampf

Ach, wie vieles muß man rügen,
Weil es sündlich und gemein,
So, zum Beispiel, das Vergnügen,
Zuzusehn bei Prügelein.

Noch vor kurzem hab’ ich selber
Mir zwei Gockel angesehn,
Hier ein schwarzer, da ein gelber,
Die nicht gut zusammen stehn.

Plötzlich kam es zum Skandale,
Denn der schwarze macht die Kur,
Was dem gelben alle Male
Peinlich durch die Seele fuhr.

Mit den Krallen, mit den Sporen,
Mit dem Schnabel, scharf gewetzt,
Mit den Flügeln um die Ohren
Hat es Hieb auf Hieb gesetzt.

Manche Feder aus dem Leder
Reißen und zerschleißen sie,
Und zum Schlusse ruft ein jeder
Triumphierend: »Kickriki!«

Voller Freude und mit wahrem
Eifer sah ich diesen Zwist,
Während jedes Huhn im Harem
Höchst gelassen weiterfrißt.

Solch ein Weibervolk mit Flügeln
Meint, wenn Gockel früh und spät
Seinetwegen sich verprügeln,
Daß sich das von selbst versteht.

Wilhelm Busch 1832-1908

September

Der Dornbusch prangt im Schmuck der roten Beeren,
Die Dahlien in ihrer bunten Pracht,
Und Sonnenblumen mit den Strahlenspeere
Stehn stolz wie goldne Ritter auf der Wacht.

Die Wespe nascht um gelbe Butterbirnen,
Die Äpfel leuchten rot im Laub und glühn
Den Wangen gleich der muntren Bauerdirnen,
Die sich im Klee mit ihren Sicheln mühn.

Noch hauchen Rosen ihre süßen Düfte,
Und freuen Falter sich im Sonnenschein,
Und schießen Schwalben durch die lauen Lüfte,
Als könnt des Sommerspiels kein Ende sein.

Nur ab und an, kaum dass der Wind die Äste
Des Baumes rührt, löst leise sich ein Blatt,
Wie sich ein stiller Gast vom späten Feste
Heimlich nach Hause stiehlt, müde und satt.

Gustav Falke 1853-1916

Erntefest

Wagen auf Wagen schwankte herein,
Scheune und Böden wurden zu klein:
Danket dem Herrn und preist seine Macht,
glücklich ist wieder die Ernte vollbracht.

Hoch auf der Fichte flattert der Kranz,
Geigen und Brummbaß laden zum Tanz;
leicht wird das Leben trotz Mühe und Plag,
krönet die Arbeit ein festlicher Tag.

Seht ihr der Kinder fröhliche Schar,
blühende Wangen, goldlockiges Haar?
hört ihr sie jubeln? O liebliches Los,
fällt ihnen reif doch die Frucht in den Schoß!

Wir aber furchen, den Pflug in der Hand,
morgen geschäftig aufs neue das Land;
ewig ja reiht, nach des Ewigen Rat,
Saat sich an Ernte und Ernte an Saat.

Julius Sturm 1816-1896

Das Köstliche

Wer nur um Unerläßliches
Sich müht in Tagesfron,
Dem fehlt ein Unvergeßliches
Als höchster Lebenslohn.

Wie zahlreich auch die Jährchen sind,
Gehäuft zu Leid und Lust,
Was Blüten, Träume, Märchen sind,
Das hat er nie gewußt!

Rudolf Presber, (1868 - 1935)

Dem Kopf- und Herzdogmatiker

Dein schlechtes Fühlen stieg aus deinem Kopf hernieder,
Dein schlechtes Denken kommt aus deinem Herzen bieder;
Das macht, weil dein Gehirn ein roher Hausknecht ist,
Die träge Magd, das Herz, zu wecken ihn vergißt.

Gottfried Keller, (1819 - 1890)

Das Wörtlein

Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.

Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: »Herzlich«.
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache Schmerzlich.

Wertlos ward ich ganz und gar,
rief's, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.

Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.

Schlafend hat's die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund – es – küssen.

Christian Morgenstern, (1871 - 1914)

 Es ist schauerlich, an Toren zu rütteln, die verschlossen sind;
noch schauerlicher aber, wenn sie nur aus dünnem Seelenstoff,
ja, wenn sie nur aus den kühlen, harten Blicken einer Seele bestehen,
die Dich nicht in sich eindringen lassen will.

Christian Morgenstern, 1871 - 1914

Rücksicht

Die Rücksicht ist ein Engelsamt,
Das, still geübt zu Menschenheil,
Beweist, dass es vom Himmel stammt,
Doch kehr´ sie nicht ins Gegenteil.

Wer ausruft, dass er Rücksicht nimmt,
Und so mit dem Posaunenschrei
Auf offnem Markt zusammenstimmt,
Der bricht der Rücksicht Kern entzwei.

Und wenn dein Herz die Wohltat liebt,
Bedenk´ die Art, wie du beschenkst,
Und dass es auch ein Wohltun gibt,
Mit dem du selbst den Bettler kränkst.

Emil Claar 1842-1930



 



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